Siebenmal mit dem Bus durch die Berliner Stadtlandschaft 1979
Ende der 1970er Jahre bot der Berliner Senat organisierte Bustouren in Berlin (West) für Berlinbesucher und Schülerklassen an.
Die Stadterneuerung hatte nach Krieg und Wiederaufbau einen gewissen Abschluß
gefunden, weswegen der Senat das neue Gesicht
der Stadt mit öffentlichen Bustouren vorstellen wollte.
Auf sieben Routen sollte Besuchern Berlin mit Liebe fürs Detail
gezeigt werden, was unter Mitwirkung des Berliner Senators für Bau- und Wohnungswesen entwickelt und bewahrt wurde: die Vielseitigkeit vom pulsierenden Großstadtleben bis zur ländlichen Idylle.
Das Angebot der Bustouren für 4,- DM richtete sich nicht nur an Besucher, sondern auch neue und alte Berliner, von denen manche nur den eigenen Stadtteil und den Weg zur Arbeitsstätte kennen.
Die Touren waren geographisch-thematisch nach Senatsschwerpunkten organisiert:
Tour | Schwerpunkte | Stadtteile |
---|---|---|
1 | Innenstadt und Norden | Charlottenburg, Wilmersdorf, Spandau, Reinickendorf |
2 | Innenstadt und Süden | Wilmersdorf, Steglitz, Tempelhof, Neukölln, Kreuzberg, Schöneberg |
3 | Westen und Nordwesten | Spandau, Charlottenburg, Reinickendorf |
4 | Cityband | Wilmersdorf, Charlottenburg, Tiergarten, Kreuzberg, Schöneberg |
5 | Villen und Landhäuser | Steglitz, Lichterfelde, Zehlendorf, Schlachtensee, Wannsee, Grunewald |
6 | Verkehrsbauten | Zehn von zwölf Bezirke |
7 | Berliner Schlösser | Charlottenburg, Wannsee, Glienicke, Grunewald, Tiergarten |
Übersicht
Die städtebaulichen
Bustouren des Berliner Senats waren Gruppenfahrten ab 20 Personen.
Die Buskosten
waren von den Teilnehmern zu tragen, während Schüler, Studenten und Rentner nur 4,- DM zu zahlen hatten.
Der Referent
hatte am Sonnabend oder Sonntag einen Anspruch von 75,- DM (deutsch) oder 90,- DM (fremdsprachig), was von den Teilnehmern direkt zu entrichten war.
Schülerfahrten sollten die Thematik
im Unterricht vorbereiten, ein Vortrag des Senators für Bau- und Wohnungswesen vorab wurden empfohlen.
Abfahrt der Bustouren war vom Dienstgebäude des Senats an der Württembergischen Straße 6-10 in Wilmersdorf, 1000 Berlin 31. Bestellbar per Telefon und Telex.
Route 1: Innenstadt und Norden
Die erste Route umfasste Charlottenburg, Wilmersdorf, Spandau und Reinickendorf, sie begann vom Fehrbelliner Platz über den Kurfürstendamm.
Im Bezirk Charlottenburg zeigte sie bemerkenswerte Beispiele der Stadterneuerung
mit Alt- und Neubauten.
Im Norden zeigte die Tour das Nebeneinander
von Wohnen und Arbeiten in Spandau, Reinickendorf und Tegel.
Tegeler Forst und Tegeler See umrahmten Wohnbereiche, Industrieviertel und den neuen Flughafen.
In Spandau bereitete der Weiterbau der U-Bahn (Baubilanz 1978) Probleme,
vor allem in der Unterquerung der Havel.
In den besichtigten Vierteln fanden so wechselnde Auffassungen vom Wohnungsbau
der letzten hundert Jahre ihren Niederschlag.
Im Fokus: Märkisches Viertel und die Weiße Stadt.
Neben den dichtbesiedelten Bereichen hatten Lübars und Hermsdorf ihren ländlichen Charakter bewahrt.
Der Abschluss der Fahrt führte von Norden über die Autobahn zum Messegelände, Funkturm und zum neuen ICC (Baubilanz 1980), vorbei an den Bauten der Bundesanstalt für Angestellte
(BfA).
Statt Charlottenburg konnten Gruppen auch den Wedding wählen, um dort wesentliche Objekte der Stadterneuerung
zu sehen.
Route 2: Innenstadt und Süden
Die zweite Route umfasste Wilmersdorf, Steglitz, Tempelhof, Neukölln, Kreuzberg und Schöneberg, die Hälfte der zwölf Westberliner Stadtteile.
Nach Beginn der Tour in Wilmersdorf wird ein bedeutsames Modellvorhaben
gezeigt, die über der Autobahn gebauten Wohnungen Schlangenbader Straße.
Die Autobahn verband Wilmersdorf und Steglitz, das sich nach dem Krieg als neues überbezirkliches Geschäftszentrum etablieren konnte.
Wichtig waren dem Berliner Senat in der südlichen Stadt das Turmrestaurant Steglitzer Bierpinsel, das Klinikum Steglitz der FU Berlin (Baubilanz 1966) und das Kraftwerk Lichterfelde am Teltowkanal.
Im Anschluss führte die Route in den äußersten Süden
zu den mittelgroßen Siedlungen
in Lichterfelde, Marienfelde, Lichtenrade, Buckow und dann zur neuen Großsiedlung Gropiusstadt, die gleichzeitig mit dem Märkischen Viertel im Norden entstand und vielfältige Diskussionen
auslöste.
Die Strecke führte wieder in die Stadt und verfolgte die städtebauliche Entwicklung der letzten fünf Jahrzehnte
an neuen Bildungszentren (Baubilanz 1978: OSZ) sowie der Sonnenallee mit neuen städtebaulichen Nuancen
, so genannten High-decks.
Über Neukölln-Rixdorf ging es in historische Stadtteile (Alt-)Berlins zurück in die städtebauliche Situation
des 19. Jahrhunderts.
Danach folgte mit den Neuköllner Rollbergen, dem Kreuzberger Chamissoplatz und Schöneberg dann Gegenden, in denen die Probleme der Stadtsanierung
als Abschluss der Tour besonders deutlich
wurden.
Route 3: Westen und Nordwesten
Die dritte Tour befuhr vor allem den äußersten Westen der geteilten Stadt Richtung Spandau, ergänzt um städtebaulich bemerkenswerte Teile
von Charlottenburg und Reinickendorf.
Von Wilmersdorf aus geht es zum Olympiastadium in Charlottenburg, 1979 als Austragungsort für Fußballspiele und Bundesliga
beliebt.
Gezeigt wurden Corbusierhaus (Baubilanz 1966) und Bauten am Grünen Dreieck
wegen ihrer beachtlichen städtabaulichen Akzente.
Die Fahrt führte dann weiter durch Spandau über die Havel nach Gatow und Kladow, die bevorzugten Ausflugsziele der Berliner
wegen ihres ländlichen Charakters.
Über die Potsdamer Chaussee ging es zu modernen Siedlungen und Wohnformen an Heerstraße und Gartenstadt Staaken.
Das noch nördlicher gelegene Falkenhagener Feld war die dritte Großsiedlung neben Märkischem Viertel und Gropiusstadt, hatte bisher aber keine entsprechende Beachtung gefunden.
Der Weg führte zurück durch zur Altstadt Spandau und verfolgte dabei die städtebauliche Entwicklung dieses Gebiets
nach.
Der Rückweg in die Innenstadt führt dann an der historischen Zitadelle Spandau vorbei, die 1979 bereits teilrestauriert war (Baubilanz 1978), bis zur Siemensstadt, eine typische Bandstadt
, fortgesetzt in Charlottenburg Nord und der Paul-Hertz Siedlung.
Wie in den anderen Routen wir der neue
Flughafen Tegel angesteuert und mit der Stadtautobahn als Abschluß noch wichtige Verkehrsbauten
vorgestellt.
Route 4: Cityband
Die vierte Busroute des Westberliner Senats führte durch das Cityband – den innerstädtischen Bereich der fünf Bezirke Wilmersdorf, Charlottenburg, Tiergarten, Kreuzberg und Schöneberg.
Gingen Routen 1 bis 3 von der Innenstadt schnell in die Außenbezirke, zeigt der Senat auf Route 4 mit dem Cityband die westliche historische Ausdehnung Berlins vom alten Stadtkern.
Beginnend in Wilmersdorf geht die fahrt an den modernen Bauten der Stadtautobahn, Messe, Funkturm und ICC zum Funk- und Fernsehzentrum
am Theodor-Heuss-Platz.
Alte Wohngebiete rund um das Charlottenburger Schloß in der Christstraße und Klausener Platz zeigen das Miteinander von Stadtbildpflege und Stadterneuerung
.
Diese Erhaltung war im Gegensatz zu Erneuerung im Opernviertel Bismarckstr und Hansaviertel, wo von der ursprünglichen Bebauung nur wenig bewahrt wurde.
Der Weg führt dann am Kreuzberger Wassertor- und Mariannenplatz zur Nationalgalerie, Staatsbibliothek und Philarmonie.
Die Stadterneuerung in Kreuzberg stand vor besonders schwierigen Aufgaben. (Baubilanz 1978)
Weiter geht es zur Bülowstraße (Baubilanz 1980), wo Fortschritte in der Stadterneuerung Schönebergs gezeigt werden mit völligem Neubau
neben Althausbestand und Modernisierung.
Über das Cityzentrum Nollendorf- und Wittenbergplatz geht es über Tauentzienstraße, Gedächtniskirche und Kudamm nach Wilmersdorf.
Route 5: Villen und Landhäuser
Die fünfte Route führt aus der Innenstadt in die südwestlichen Außenbezirke, von Lichterfelde bis Halensee – ein einziger Garten
, so Giraudoux.
Die Tour sollte keinen modernen Städtebau, sondern altherkömmliche Berliner Landhäuser und Villen zeigen, von denen viele Krieg und Stadterneuerung überstanden hatten.
Gutsituierte Berliner zogen ab 1870 nach dem wirtschaftlichen Aufschwung des 19. Jahrhunderts gerne nach außerhalb, vor allem in die westlichen Vororte Westend und Lichterfelde, arbeiteten aber weiter in der Innenstadt. Gewohnt haben sie in Villen (repräsentative Fassaden, Souterrain) und einfacheren Landhäusern (nach englischem Vorbild).
Villenviertel entstanden später auch in Grunewald, Zehlendorf, Nikolassee und Dahlem – alle im Südwesten Berlins –, mit dem Villenvorort
Frohnau als Ausnahme im Norden Berlins.
Route 5 folgte dieser Entwicklung (dem vorherrschenden Zug
) von Wilmersdorf nach Steglitz, Lichterfelde, Zehlendorf, Schlachtensee und Wannsee bis zur Rückfahrt durch den Grunewald und seine Villenkolonie.
Neben den Villen wurde auch auf andere Objekte von städtebaulicher Bedeutung hingewiesen,
die auf der Strecke lagen.
Wegen den dicht mit Bäumen bewachsenen Straßen riet der Senat zu einer Tour in den laubarmen Jahreszeiten für bessere Sicht.
Route 6: Verkehrsbauten
Die sechste Tour legte Fokus auf Verkehrsbauten und die Effektivität des Straßennetzes
von Westberlin und durchfuhr in knapp drei Stunden zehn der zwölf Bezirke.
Stadtentwicklung und Wohnbauten wie in den vorigen fünf Touren spielten keine Rolle, sondern die komplexen Verkehrsbauten von Straßen und Autobahnen der 1970er Jahre (Baubilanz 1980).
Über Lietzenburger Straße wird der Zoo erreicht und dann die Zoosause, der Tunnel am Breitscheidplatz, und anschließend die Tunnel der ausgebauten Bundesallee an Berliner Straße und Bundesplatz durchfahren.
Die (sehr komplexen) Verkehrsbauten am Innsbrucker Platz sollten eine wirksame Entlastung des Oberflächenverkehrs
erreichen, wie schon die Westtangente in Steglitz.
Der Tunnel Drakestraße sollte die B1 entlasten, der Weg führt dann zum Zehlendorfer Kleeblatt
und den modernen Anlagen
an der Grenzstelle Dreilinden.
Der Rückweg über die Avus zeigte weitere Verkehrsbauten am Kudamm – im gleichen Bereich
die Wilmersdorfer Straße, die in der Zeit eine Fußgängerzone wurde.
Weiter ging es zum Flughafen Tempelhof, die BAB-Stadtautobahn, Heerstraße, Flughafen Tegel und Westhafen, die größte Hafenanlage Berlins.
Ein Viertel der Westberliner Gütermenge erreichte die Stadt auf dem Wasserweg.
Durch den Ausbau der Straßen wurden neue Fußgängerüberwege erforderlich, von denen einige in der Route unterfahren wurden, so der Goerdelersteg (1974) mit 350m und die Stahlbrücke zum Europacenter mit 77m.
Route 7: Berliner Schlösser
Die letzte Tour des Berliner Senats führte zu Schlössern in Berlin (West).
Es sollte nicht nur um das im Krieg schwer beschädigte Stadtschloß der Hohenzollern und Schloß Charlottenburg gehen, sondern eine Reihe weiterer Schlösser
Berlins sollten in den westlichen Bezirken gezeigt werden.
Das alte Schloß in Ost-Berlin wurde 1950 gesprengt, das Charlottenburger seit den 50er Jahren wiederhergestellt.
Die Rundfahrt beginnt mit dem Schloß Charlottenburg, eine Meisterleistung der West-Berliner Denkmalpflege.
Dann geht es auf die unvermeidliche Stadtautobahn über die Avus nach Wannsee und zum Naturschutzgebiet Pfaueninsel mit kleinem Schloß als architektonischer Kuriosität.
Danach geht es nach Kleinglienicke mit kurzem Aufenthalt im harmonischen Ensemble
von Schloß und Park.
Zurück führte die Tour über den Grunewald und das 1542 erbaute Jagdschloss Grunewald.
Dann ging es durch die Innenstadt zum Schloß Bellevue in Tiergarten, für dessen Wiederaufbau Theodor Heuss sich besonders engagierte.
Damit wurden durch die Schlösserfahrt alle wesentlichen Schlösser West-Berlins
abgefahren, bis auf das Tegeler Schloß.
Auf Schloßbesichtigungen und eigentlich sehr empfehlenswerte
Rundgänge musste aus Zeitgründen verzichtet werden, die Fahrt sollte Anregungen für spätere eigene Besuche der Teilnehmer
geben.
Quellen
Die Hauptquelle dieses Artikels und der Bilder ist die Heftchen 7x mit dem Bus durch die Berliner Stadtlandschaft, Senator für Bau- und Wohnungswesen, Januar 1979, Berlin (West).